Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung mit Focus auf Änderungen für die Pflegefachkräfte
Am 06.08.2025 verabschiedete das Bundeskabinett den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur „Befugniserweiterung und Entbürokratisierung der Pflege“ [1]. Es wurde unter der Bezeichnung „Pflegekompetenzgesetz“ in der vorherigen Legislaturperiode unter Gesundheitsminister Karl Lauterbach ausgearbeitet und umfasst 220 Seiten. Ein Ziel des Gesetzentwurfes soll sein, den Pflegeberuf attraktiver zu machen. So heißt es im Einführungstext: „Die Stärkung der Pflegefachpersonen und ihrer Befugnisse in der Versorgung ist auch ein wichtiges Ziel, um den Beruf noch attraktiver zu machen und damit gegen den in der Pflege festzustellenden Fachkräfteengpass anzugehen“ [2].
Die Kompetenzerweiterung der Pflegefachkräfte stellt sich laut dem Gesetzentwurf je nach Ausbildungsstand wie folgt dar:
Die Pflegekräfte dürfen Pflegehilfsmittel und Pflegemittel empfehlen [3] und Folgeverordnungen für „Häusliche Krankenpflege“ und Pflegehilfsmittel ausstellen.
Zu bemängeln ist, dass die Erstverordnung eine Aufgabe des Arztes bleiben soll [4]. Die Bezeichnung „Empfehlung“ ist nicht bindend. Zu fordern ist die Formulierung „Verordnung“ .Die Pflegekräfte dürfen den Pflegegrad des Pflegebedürftigen beurteilen und somit die Pflegeleistungen definieren [5]. Bisher war es Aufgabe des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen
- Je nach Ausbildungsstand dürfen Pflegefachkräfte eine Beratung anbieten zu pflegerischen, präventiven und gesundheitsfördernde Maßnahmen [6].
Dass diese drei Aufgabenbereiche der Pflege übertragen werden, ist sinnvoll, verringert Bürokratie und dient der qualitativ besseren Versorgung der Pflegebedürftigen.
Für die Ausführung von grundpflegerischen Leistungen im ambulanten Bereich ist jedoch wie schon oben beim Thema Verordnung von Pflegemittel und Hilfsmittel zu bemängeln, dass eine ärztliche Erstverordnung vorhanden sein muss obwohl es heißt „Die Pflegefachpersonen erbringen die im Vertrag nach Absatz 1 Satz 1 zu vereinbarenden Leistungen eigenverantwortlich und berufsrechtlich weisungsfrei“ [7]. Für die behandlungspflegerische Maßnahmen und weit darüber hinausgehende Aufgaben [8] wie zum Beispiel: Behandlungen von chronischen Wunden, Punktion von Venen, Insulin und Infusionstherapie [9] ist die ärztliche Verordnung [10] und Indikationstellung sinnvoll und nötig. Manche von diesen Maßnahmen werden schon traditionell sowohl in der ambulanten und stationären Pflege als auch im Krankenhausbereich von geschulten Pflegefachkräften ausgeführt.
Bis zum 31. Juli 2027 soll ein Vertrag über die Aufgabenverteilung zwischen der Ärzteschaft, den maßgeblichen Pflegeorganisationen, der Kassenärztlichen Vereinigung, den Krankenkassen und den Vertretern von Pflegeeinrichtungen für stationäre, teilstationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen abgeschlossen sein [11].
Für den Krankenhausbereich soll ein Rahmenvertrag mit dem Leistungskatalog bis zum 31. Juli 2028 nur von der Deutschen Krankenhausgesellschaft, vom GKV Spitzenverband und vom Verband privater Krankenversicherung ohne die Spitzenverbänden der Pflege und der Ärzteschaft ausgearbeitet werden [12]. Die Pflegeorganisationen und Ärztliche Verbände werden nur angehört. Finanzielle Kriterien für die Auswahl der zu delegierenden Leistungen scheinen im Vordergrund zu stehen.
Auf Grund des akuten Personalmangels im Pflegebereich ist eine Übertragung von ärztlichen Aufgaben auf die Pflegepersonen sehr kritisch zu sehen. Sollten mehr Aufgaben den Pflegepersonen übertragen werden, ist eine zunehmende Arbeitsbelastung für die Pflege zu erwarten. Dies trägt sicherlich nicht zur Attraktivität des Pflegeberufes bei, der seit 2020 durch das Pflegeberufegesetz als Heilberuf anerkannt ist. Für die Krankenkassen bringt diese Regelung natürlich einen erheblichen finanziellen Vorteil, da die Leistungserbringung der Pflegefachkraft billiger ist als ein Arzthonorar [13].
Spezifisch die Pflege betreffend sind folgende Modellvorhaben1 [14] geplant: Erprobung der Telepflege (§ 125a), Erprobung digitaler Verhandlungen der Pflegevergütung (§ 125c) und Erprobung der Flexibilisierung der Leistungserbringung stationärer Pflegeeinrichtungen (§ 125d). Da es sich bei diesen Modellvorhaben nicht um Versicherungsleistungen handelt, sollten sie nicht über die Pflegekassen, sondern über den Bundeshaushalt finanziert werden. Die Pflegeversicherung ist jetzt schon unterfinanziert unter anderem, weil der Bund während der Corona-Krise 5,2 Milliarden aus der Pflegekasse für versicherungsfremde Leistungen entnommen hat.
Die Pflegedokumentation wird von vielen Pflegenden als lästiger bürokratischer Aufwand empfunden. Durch die Ausführung der Dokumentation wird maßgeblich die Zeit am Pflegebett verringert. In Bezug auf die Dokumentation ist die Entbürokratisierung im Gesetzentwurf nicht erkennbar. Der Begriff „Pflegeprozessverantwortung“ der in der bisherigen Praxis eine ausführliche Dokumentation zur Folge hat, ist in der Gesetzesvorlage 34 mal zu finden. Es heißt zwar abmildernd: „Mit der Verantwortung der Pflegefachperson für den Pflegeprozess eng verknüpft ist zudem die Frage einer zielgerichteten Dokumentation der Pflege, die Bestandteil des Pflegeprozesses ist und bei der sichergestellt bleiben soll, dass es durch die genannten Entwicklungen nicht (wieder) zu einer fachlich nicht notwendigen Erhöhung des Dokumentationsaufwands kommt“ [15]. Der Begriff „fachlich nicht notwendige Erhöhung des Dokumentationsaufwand“ ist nicht klar definiert.
Neben der Erweiterung der Pflegekompetenzen enthält das Gesetz unter anderem nicht zum Thema passenden Gesetzespassagen. Es ist verständlich, wenn Parlamentarier überfordert sind, Gesetzestexte in diesem Umfang zu lesen und darüber objektiv und sachgerecht abzustimmen. Eine Aufsplittung in die verschiedenen Themenbereiche wäre notwendig gewesen.
Das Einfügen der Pflege-fremden Themen ist jedoch als mehr als nur fragwürdig zu bezeichnen. Dabei drängt sich der Verdacht auf, dass verschiedene Interessengruppen versuchen, sich durch diesen Gesetzesentwurf Zusagen zu erwirken, die sie sonst nicht bekommen würden.
Konkret geht es hier um:
- Richtlinien zur digitalen Transformation des Gesundheitswesens [16],
- Richtlinien für Vereinbarungsprozesse zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern [17],
- Förderrichtlinien zu Modellvorhaben für Behandlung von pädophilen Patienten [18],
- Förderrichtlinien für Telemedizin,
- Förderrichtlinien für Wohngruppen [19] für Pflegebedürftige,
- Richtlinien für Zuschüsse für Pflegehilfsmittel und für Pflegestufen.
Der IVfG nimmt Stellung gegen den Versuch, diese Themen undifferenziert und vor allem intransparent kommuniziert durch den legislativen Prozess zu schleusen. All diese Einzelthemen haben weitreichende Konsequenzen, die inhaltlich nicht mit Pflege-Themen zu verquicken sind und daher auch einzeln und mit entsprechender Sorgfalt ausgearbeitet werden müssen.
Ob durch diesen Gesetzentwurf der Pflegeberuf an Attraktivität gewinnt und die Bürokratie im Pflegebereich abgebaut wird, ist fragwürdig. Die Hauptaufgabe der Pflege bleibt immer noch – trotz anderer politischer Bestrebungen – mit persönlicher, professioneller Zuwendung und Tun die körperlichen, sozialen und spirituellen Bedürfnisse der Pflegebedürftigen zu erkennen und sie soweit als möglich zu befriedigen. Eine Übernahme von ärztlichen Behandlungsleistungen kann kein primäres Ziel sein. Allein schon eine authentische warmherzige kompetente pflegerische Versorgung der anvertrauten Personen kann heilend wirken. Die Einstufung des Pflegeberufs als Heilberuf ist dadurch eher gerechtfertigt, als durch die Übernahme ärztlicher Aufgaben.
Quellen
[1] ↑ https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayPfleVG/true
[2] ↑ HP: Nummer B, S.2
[3] ↑ DbfK-Stellungnahme: https://www.dbfk.de/media/docs/Berufspolitik/stellungnahmen/20250711-DBfK-Stena-RefE_PKompG-23-06-2025.pdf, Artikel 1, Nummer 14: § 17a SGB XI, neuer §17a
[4] ↑ DbfK-Stellungnahme: Artikel 2, Nummer 2, § 15a SGB V
[5] ↑ DbfK-Stellungnahme: Artikel 1, Nummer 17, b) § 18e SGB XI, Absatz 6
[6] ↑ DbfK-Stellungnahme: Artikel 1, Nummer 2, b § 5 SGB XI, Absatz 1a
[7] ↑ GE: Zu Nr. 16, Absatz 1, S. 199
[8] ↑ GE: Zu Nr. 16, Absatz 1, S. 200f
[9] ↑ GE: Zu Nr. 16, Absatz 1, S. 200
[10] ↑ DbfK-Stellungnahme: Artikel 2, Nummer 2, § 15a SGB V
[11] ↑ GE: Zu Nr. 16, Absatz 1, S. 199
[12] ↑ DbfK-Stellungnahme: Artikel 2, Nummer 14, neuer § 112a SGB V
[13] ↑ https://voncaprivi.de/pflegefachkrafte-arztliche-aufgaben/
[14] ↑ GE: §§ 125a, 125c, 125d, S. 51
[15] ↑ GE: Zu Nr. 64 (§ 113d), S. 166
[16] ↑ GE: S. 2, S. 79, S. 88
[17] ↑ GE: § 86a, S. 33
[18] ↑ GE: § 65d, S. 57, zu Nummer 14 (65d), S. 198
[19] ↑ GE: §§ 45f, 45g, 45h
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