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Situation der Pflege in Pflegeheimen

Die Senioren haben es verdient respektvoll und würdevoll gepflegt zu werden

Ende 2023 waren insgesamt in Deutschland rund 5,7 Millionen Menschen pflegebedürftig. Davon wurden etwa 14 Prozent, das entspricht rund 800.000 Personen, in stationären Pflegeheimen versorgt. Die übrigen 86 Prozent (rund 4,9 Millionen) wurden zu Hause betreut, entweder durch Angehörige oder durch ambulante Pflegedienste [1]. Auf Grund der breiteren Pflegestufeneinteilung von 3 auf 5 Stufen seit 2017 und der bevölkerungsbedingten Zunahme an Senioren wird die Zahl der Pflegebedürftigen laut dem Statistischen Bundesamt bis 2055 um 1,8 Millionen ansteigen [2].

Aktuell gibt es in Deutschland rund 11.680 vollstationäre Alten- und Pflegeheime mit etwa 918.000 Pflegeplätzen. Die durchschnittliche Auslastung der Pflegeheime liegt bei etwa 87,9 Prozent. Im Jahr 1999 wurden 3.092 Heime und damit fast 35 Prozent der Einrichtungen von privaten Trägern betrieben. Im Jahre 2021 wuchs die Zahl der privaten vollstationären Einrichtungen auf 42,5 Prozent an. Die Zahl der frei gemeinnützigen Träger betrug 52,8 Prozent. In öffentlicher Trägerschaft waren nur 4,5 Prozent. Die öffentlichen Pflegeheime haben sich von 1999 bis 2015 um 50 Prozent verringert.

Weiterhin nimmt ebenso die Anzahl der frei gemeinnützigen Heime ab [3]. Denn von den rund 664 im Bau und in Planung befindlichen Pflegeheimen werden etwa 56 Prozent aller Neubauten von privaten Betreibern und nur 36 Prozent von gemeinnützigen Anbietern erstellt. Kommunale Träger spielen bei neuen Pflegeheimen kaum eine Rolle [4]. Der Marktanteil der privaten Anbieter nahm in den letzten 20 Jahren jährlich um 10 Prozent zu [5]. Der Ausbau wurde von der Politik mit staatlichen Zuschüssen gefördert, um die Kommunen zu entlasten. Die Konzerne Alloheim-Senioren-Residenzen mit 27.743 Pflegeplätzen, Korian (Europa-weiter Konzern) mit 23.596 vollstationären Plätzen und Victor`s Group mit 14.628 Plätzen beherrschen weitgehend den Pflegemarkt [6].

Eine Beobachtungsstudie [7] von 2016 kam zu dem Ergebnis, dass die profitorientierten Heime in Bezug auf die Qualität der pflegerischen und medizinischen Versorgung schlechter zu bewerten sind als die Heime von öffentlichen oder frei gemeinnützigen Anbietern. Wie nachfolgend beschrieben wird, sind auch leider in Heimen von nicht privaten Trägern gravierende pflegerische Mängel vorhanden.

In den letzten Jahren wurden in den Print-, Rundfunk- und Telemedien immer wieder von Missständen vor allem in privaten Pflegeheimen berichtet. Neben den bisher bekannten „Team Wallraff“ und dem Sozialarbeiter und Buchautor Claus Fussek deckt die Altenpflegerin Katharina Jansen in ihrem sehr persönlichen und aufrüttelnden Buch „Todesurteil-Pflegeheim, die ganze Wahrheit“ [8] (die Fußnote „Buch“ bezieht sich auf dieses Buch) menschenunwürdige Zustände in Pflegeheimen auf.

Von 2023 bis 2024 war sie in zwei Zeitarbeitsfirmen als Fachkraft für Altenpflege angestellt [9]. In ihren Berichten über ihre Arbeitseinsätze in neun Pflegeheimen, davon fünf in privater, vier in kommunaler und gemeinnütziger Trägerschaft, bemängelt sie folgendes: zu wenig Engagement der Pflegekräfte für aktivierende mobilisierende Pflege, ungenügende schlampige Körperpflege, unhygienische Pflegehilfsmittel, Unterernährung und Dehydration von Bewohnern, zu viele Raucherpausen des Personals, keine fundierte Einarbeitung von neuen Pflegekräften, Mobbing unter den Arbeitskollegen, unkorrekter Umgang mit Betäubungsmittel, nicht fachgerechte Wundversorgung und keine evidenzbasierte Verordnung von Medikamenten und Psychopharmaka von Seiten der Ärzte, was zur Folge hatte, dass die medikamentöse Behandlung zur Immobilität oder zu mehr Desorientierung bei den Bewohnern führte.

Was sind nun die Ursachen dieser angeführten Missstände?

  1. Die Hauptursache für diese unhaltbaren Zustände ist der seit Jahren chronische Personalmangel vor allem in Pflegeheimen. Im Rahmen einer Studie zur Einführung eines neuen Personalbemessungssystems, das den Bedarf von Pflegekräften nach den Pflegegraden der Bewohner messen soll, kam der Gesundheitsökonom Professor Heinz Rothgang in seiner Studie von 2020 zu dem Ergebnis, dass für die Verwirklichung einer professionellen und guten Pflege in den Heimen noch zusätzlich 36 Prozent der Pflegekräfte im Vergleich zu dem herkömmlichen Pflegeschlüssel benötigt werden [10].

    Diese Minderbesetzung in Deutschland wird auch im Vergleich mit dem Pflegeschlüssel in der Schweiz bestätigt. In Deutschland betreut eine Pflegekraft bis zu 13 Bewohner, in der Schweiz dagegen eine Pflegekraft durchschnittlich nur 8 Bewohner [11]. Weiterhin fordert Rothgang, dass anstatt der Pflegefachkraftquote ein Qualifikationsmix von Pflegefachkräften und Pflegeassistentinnen im Verhältnis von 40 Prozent Pflegefachkräfte zu 60 Prozent Pflegeassistentinnen in den Heimen gelten soll. Da aber im Arbeitsmarkt weder Pflegefachkräfte noch Pflegeassistentinnen in der benötigten Menge vorhanden sind, ist dies in der Praxis bisher nicht durchführbar.

    Rothgang kommt auch zu dem Ergebnis, dass viele Pflegekräfte vorzeitig aus dem Beruf ausscheiden, weil die Arbeitsbedingungen nicht zufriedenstellend sind [12]. Zum Wohle der Bewohner braucht es eine gute Arbeitsorganisation und einen arbeitnehmerfreundlichen Dienstplan. Qualifizierte und engagierte Führungskräfte sind von Nöten, um den Bedürfnissen von Bewohnern so wie auch dem Pflegepersonal gerecht zu werden.

    Manche Heimbetreiber versuchen die Personalnot mit Fachkräften aus Zeitarbeitsfirmen abzumildern. Diese verdienen gut an der Notsituation. Laut Frau Jansen muss das Heim für eine Fachkraft der Zeitarbeitsfirma monatlich zirka 17.000 € [13] bezahlen. Eine beim Heim festangestellte Fachkraft verdient dagegen brutto 3.000 € bis 3.800 € [14].

  2. Eine weitere Ursache für ein niedriges Pflegeniveau ist, dass vor allem private Träger versuchen, möglichst hohe finanzielle Gewinne zu erzielen. Allein bei der Alloheimgruppe mit einem Umsatz von 1,34 Milliarden Euro ergibt dies einen geschätzten Gewinn von rund 40 bis 100 Millionen Euro für das Jahr 2024 [15]. Der durchschnittliche Gewinn eines Pflegeheims liegt – je nach Größe, Auslastung und betriebswirtschaftlicher Führung – im Bereich von 5 bis 10 Prozent der Einnahmen. Das entspricht bei einem Pflegeheim von zirka 80 Plätzen 12.000 € bis 24.000 € monatlich [16].

    Ein Pflegeheim kostet unabhängig vom Pflegegrad durchschnittlich 3.300 € (davon zirka 2800 € Eigenanteil des Versicherten). Die Pflegekasse zahlt dann zum Beispiel bei Pflegegrad 5 noch 2.096 € dazu. Bei einem monatlichen Pflegebedarf von 90 Stunden für einen Bewohner mit Pflegegrad 5 [17] bekommt das Heim 5.396 €.

    Vor dem Hintergrund dieser Zahlen überraschend sind im Jahr 2024 trotz steigender Zahl von Pflegebedürftigen 1.294 Pflegeheime wegen Insolvenz geschlossen worden. Grund dafür ist laut Pflegeheimverbandsgeschäftsführerin Isabel Halletz die mangelnde Zahlungsmoral der Pflegekassen [18].

    Laut dem Barmerpflegereport von 2024 steigen die Ausgaben pro Pflegebedürftigen von 50.000 € bisher auf 76.000 € pro Jahr in naher Zukunft [19]. Die Beiträge zur Pflegeversicherung stiegen 2025 nur um 0,2%. Laut Barmer reicht dies bei weitem nicht aus, um die aktuellen und zukünftigen Leistungen bezahlen zu können. Barmer Chef Straub fordert, dass die Pflegeversicherung von versicherungsfremden Leistungen entlastet wird, wie Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige und die Ausbildungskostenumlage für Pflegekräfte [20]. Außerdem schuldet der Bund der Pflegeversicherung noch fünf Milliarden Euro Pandemiekosten, die er der Pflegekasse entnommen hat [21].

  3. Versagen der Heimaufsicht und des MDK (Medizinischer Dienst der Krankenkassen)

    Frau Jansen widmete ihr Buch zwei Frauen, die laut ihren Berichten auf Grund von vernachlässigter Pflege bzw. Gewaltanwendung vorzeitig sterben mussten. An dem Beispiel der Seniorenresidenz Schliersee schildert Frau Jansen, wie die zuständige Heimaufsicht trotz ihres Hinweises auf gravierende Mängel im Jahre 2011 nicht reagierte [22]. Im Frühjahr 2020 wurden wieder Mängel in diesem Heim angezeigt. Am 05.08.2020 starb die Frau weil sie „zu Tode vergewaltigt wurde“ [23]. Das Heim wurde aber erst eineinhalb Jahre später nach dem Tod dieser Bewohnerin geschlossen.

    Auch bundesweit sind ähnliche Fälle bekannt, in denen die Verantwortlichen der Heimaufsicht und des MDK`s ihre Kontrollpflicht nicht gewissenhaft genug ausführten und das Prozedere der Schließung eines Heimes zu lange hingezogen wird. Es genügt nicht nur die Dokumentationen anzuschauen, sondern sie müssen auch mit der Praxis verglichen und überprüft werden. Als einen Beitrag zur Entbürokratisierung will die neue Regierung laut Koalitionspapier die Kontrollen von Heimaufsicht und MDK „verschränken“ [24].

    Als präventive Maßnahme, die als Ergänzung zu den Kontrollen der Heimaufsicht und MDK bewertet werden soll, bietet Katharina Jansen mit ihrem neu gegründeten Team den Heimen an, dass sie zwei bis fünf Tage mitarbeiten und die Praxis mit der Dokumentation abgleichen.

Was kann noch getan werden, um die Pflegequalität in den Heimen zu verbessern?

  1. Als weiteren Schritt zur Verbesserung der Pflegequalität ist eine Reform der Ausbildung von Pflegekräften zu wünschen. Bisher hat sich die „generalistische“ Ausbildung der Pflegeschüler sowohl für die Krankenhäuser als auch für die Pflegeeinrichtungen laut Aussagen von vielen Pflegekräften nicht bewährt. Wegen der Vielzahl der verschiedenen Praxiseinsätze haben die Schüler nach dem Examen zu wenig Praxiserfahrung.

    Der Ausbildungsgang Kinderkrankenpflege muss getrennt von der Krankenpflege sein, in der jetzt zudem die Altenpflege beinhaltet ist. In den Ausbildungsinhalten ist ein besonderer Wert auf die Persönlichkeitsbildung zu legen, um sozialen Konflikten vorbeugen und lösen zu können, die eigenen Grenzen besser kennen zu lernen und mit körperlichen und psychischen Belastungssituationen konstruktiv umgehen zu können. Dies gilt auch für die Ausbildung für Pflegeassistenten.

  2. Die deutliche Profitorientierung der privaten Pflegeheimträger ist wie schon oben geschrieben für die Qualität der Pflege nicht förderlich. Ein schrittweiser Rückgang der privaten Anbieter durch Verminderung der staatlichen Zuschüsse zu Gunsten vor allem der kommunalen Trägern ist anzustreben.
  3. Die Ärzte müssen in ihrer Ausbildung einen sensiblen, kritischen und evidenzbasierten Umgang mit Medikamenten und vor allem mit Psychopharmaka erlernen, um Medikamente-bedingte Immobilität und Desorientierung der Bewohner zu vermeiden.
  4. Um den Pflegealltag zu entlasten, muss weniger Wert gelegt werden auf Dokumentation und Pflegeplanung. Die praktische Arbeit und Zuwendung zum Bewohner muss im Vordergrund stehen. Der bürokratische Aufwand muss vermindert werden.

Die Politik der letzten Jahre vernachlässigte das Thema Pflege. Es wurde viel geschrieben, geforscht und gesagt. Aber verbessert hat sich dadurch nichts. Im Gegenteil, die Probleme der Versorgung von Pflegebedürftigen werden immer komplexer.

Anstatt die Pharmaindustrie weiterhin zu fördern, wie es im neuen Koalitionsvertrag steht – „Wir stärken die Industrielle Gesundheitswirtschaft, insbesondere die Pharmazeutische Industrie und Medizintechnik, als Leitwirtschaft. Der Pharmadialog und die Pharmastrategie werden fortgesetzt“ [25] – „sollte die Politik mehr Initiative ergreifen um die Situation der Senioren zu verbessern. Sie und wir alle sollten diesen Satz eines Heimleiters verinnerlichen, den er auf die Frage nach der Motivation seines Engagements antwortete: ‚Sie haben es doch verdient. Sie haben alles hier aufgebaut. Sie haben uns groß gezogen und alles für uns getan‘“ [26].

Quellen

[1]  https://www.pflegemarkt.com/fachartikel/pflegestatistik-2023/
[2]  https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/03/PD23_124_12.html
[3]  https://www.bundestag.de/resource/blob/575704/f15fb89c77c8a6e503b4af1e17827839/wd-9-061-18-pdf-data.pdf
[4]  https://www.pflegemarkt.com/fachartikel/pflegestatistik-2023/
[5] Buch S. 36
[6]  https://www.pflegemarkt.com/fachartikel/top-betreiber/liste-30-groesste-pflegeheimbetreiber-2025/#30_groesste_Pflegeheimbetreiber
[7]  https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1865921716300290
[8]  https://profi-pflege-mit-frieden-im-herzen.de/todesurteil-pflegeheim/
[9]  Buch S. 19
[10]  https://medwing.com/de/de/magazine/artikel/personalbemessung-altenpflege
[11]  https://www.recrutio.de/der-pflegeschluessel-in-der-schweiz/
[12]  https://www.grundbildung-pflege.de/c/wissen/neue-personalbemessung-in-der-pflege-das-rothgang-gutachten-58
[13]  Buch S.253
[14]  https://www.medi-karriere.de/medizinische-berufe/pflegefachkraft-gehalt/
[15]  https://www.carevor9.de/care-inside/was-alloheim-chefs-ueber-groesse-und-uebernahmen-denken
[16]  https://www.welt.de/wirtschaft/article179726068/Pflege-Darf-ein-Heim-Gewinne-machen.html
[17]  Buch S. 64
[18]  https://www.anonymousnews.org/deutschland/insolvenzbeben-erfasst-pflege-das-sozialsystem-bricht-auseinander/
[19]  https://www.aok.de/pp/gg/update/barmer-pflegereport/
[20]  ebd.
[21]  ebd.
[22]  Buch S. 5
[23]  ebd.
[24]  https://fragdenstaat.de/dokumente/258022-koalitionsverhandlungen-cdu-csu-spd-ag-6-gesundheit-und-pflege/
[25]  ebd.
[26]  Buch S.351

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