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Geplante Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) entschärft

Stand Mitte April 2024 hätten die Vorschläge für die Änderungen der IGV den Generaldirektor der WHO ermächtigt, „Empfehlungen“ zu geben, wie zum Beispiel „Impfnachweise zu überprüfen“ oder „Impfungen zu verlangen“, die in Deutschland im Rang eines Bundesgesetzes rechtlich bindend gewesen wären. Dies ist in der aktuellen Version der Änderungen entschärft. Jedoch würde auch ein Beschluss dieser Version im Mai 2024 die Fristvorschriften der IGV massiv verletzen.

Einleitung

Mit der Begründung, die internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Pandemien zu stärken, werden im Rahmen der WHO derzeit zwei Projekte vorangetrieben. Zum einen sind dies Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV, englisch: IHR – International Health Regulations), zum anderen wird der Entwurf des WHO-Pandemievertrags (WHO Pandemic Agreement) verhandelt.

Nach den derzeit gültigen IGV hat der Generaldirektor der WHO die alleinige Entscheidungsbefugnis, gesundheitliche Notlagen internationaler Tragweite festzustellen. Ebenfalls in alleiniger Entscheidungsbefugnis kann er in der Folge unverbindliche Empfehlungen geben, die unter anderem auch Test- und Impfpflichten beinhalten können.

Die im Jahr 2022 vorgeschlagenen Änderungen der IGV sahen vor, die Empfehlungen des Generaldirektors in den Vertragsstaaten rechtsverbindlich zu machen. Am 17. April 2024 wurde jedoch der Entwurf einer konsolidierten Fassung der Änderungsvorschläge vorgelegt, in dem die diesbezüglichen Änderungen nicht mehr enthalten sind.
Es ist nicht klar, ob die WHO der 77. Weltgesundheitsversammlung, die vom 27. Mai bis 1. Juni 2024 in Genf tagt, einen Änderungsvorschlag der IGV zur Beratung vorlegen wird. Wäre dies der Fall, läge ein offensichtlicher Verstoß gegen Fristvorschriften der IGV vor.

Aktuelle Vollmachten des Generaldirektors der WHO

Der Generaldirektor der WHO kann nach den derzeit gültigen IGV eine gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite in alleiniger Entscheidungsbefugnis feststellen ([1], Artikel 12, Seite 942, in Zusammenhang mit Artikel 49 Absatz 5, Seite 962). In der englischen Abkürzung wird die Notlage als PHEIC (Public Health Emergency of International Concern) bezeichnet. Der Generaldirektor entscheidet auch über die Beendigung des PHEIC nach eigenem Ermessen ([1] Artikel 12 Absatz 5, S. 943).

Ist ein PHEIC festgestellt, gibt der Generaldirektor nach Artikel 15 Absatz 1 ([1], Seite 944) befristete Empfehlungen, die jeweils drei Monate gelten, jedoch verlängert und/oder verändert werden können. Befristete Empfehlungen können „nötigenfalls“ auch nach Beendigung der gesundheitlichen Notlage gegeben werden.

Nach Artikel 18 Absatz 1 ([1] Seite 945) kann der Generaldirektor den Vertragsstaaten in Bezug auf Personen insbesondere Folgendes empfehlen:

  • den Reiseverlauf in betroffenen Gebieten überprüfen;
  • den Nachweis von ärztlichen Untersuchungen und Laborergebnissen überprüfen;
  • ärztliche Untersuchungen verlangen;
  • den Nachweis einer Impfung oder einer anderen Prophylaxe überprüfen;
  • eine Impfung oder eine andere Prophylaxe verlangen;
  • verdächtige Personen einer Beobachtung zum Schutz der öffentlichen Gesundheit unterziehen;
  • Quarantäne- oder andere Gesundheitsmaßnahmen für verdächtige Personen durchführen;
  • eine Absonderung betroffener Personen und nötigenfalls deren Behandlung durchführen;
  • eine Nachverfolgung der Kontakte verdächtiger oder betroffener Personen durchführen;
  • die Einreise verdächtiger und betroffener Personen verweigern;
  • die Einreise nicht betroffener Personen in betroffene Gebiete verweigern und
  • bei der Ausreise von Personen aus betroffenen Gebieten ein Screening durchführen und/oder Beschränkungen auferlegen.

Die Inhalte seiner Empfehlungen bestimmt der Generaldirektor ebenfalls in alleiniger Entscheidungsbefugnis ([1], Artikel 15 Absatz 1, Seite 944, in Zusammenhang mit Artikel 49 Absatz 5, Seite 962).

Zur rechtlichen Verbindlichkeit der Empfehlungen des Generaldirektors der WHO

Derzeit liegt die rechtliche Umsetzung der Empfehlungen des Generaldirektors der WHO in der Verantwortung der nationalen Rechtssetzung. So konnten während der sogenannten Corona-Pandemie „Impfpflichten“ in Deutschland nur durch nationale Gesetze eingeführt werden, wie dies bei der „einrichtungsbezogenen Impfpflicht“ der Fall und bei der „allgemeinen Impfpflicht“ geplant war.

Wären die seit 2022 vorgeschlagenen Änderungen der IGV [2] in Deutschland in Kraft getreten, wären die Empfehlungen des Generaldirektors im Falle eines PHEIC im Rang von Bundesgesetzen rechtlich bindend geworden [3]. Impfpflichten hätten somit allein aufgrund von Empfehlungen des Generaldirektors rechtlich bindend vorgeschrieben werden können.

Wesentlich für die rechtliche Verbindlichkeit der Empfehlungen des Generaldirektors waren die vorgeschlagenen Änderungen der IGV in den Artikeln 1, 13A und 42 [2][3]. Diese Änderungen sind in der aktuellen Version der Änderungsvorschläge [4] vom 17. April 2024 nicht mehr enthalten.

Regelwidriges Verfahren bei der Änderung der IGV

Nach Artikel 55 Absatz 1 IGV ([1], S. 965) können Änderungen der IGV von jedem Vertragsstaat oder vom Generaldirektor vorgeschlagen werden. Nach Artikel 55 Absatz 2 wird der Wortlaut jedes Änderungsvorschlags allen Vertragsstaaten durch den Generaldirektor mindestens vier Monate vor der Gesundheitsversammlung, auf der er zur Beratung vorgeschlagen wird, übermittelt. Am Stichtag, dem 27. Januar 2024, lagen den Vertragsstaaten keine Änderungsvorschläge für die 77. WHA vor.

Die Änderungen der IGV werden seit 2022 in der Working Group IHR (WGIHR) beraten [5]. Der Stand der Dinge war bei Redaktionsschluss am 09. Mai 2024 der folgende.

Am 17. April 2024 wurde für die achte Sitzung der WGIHR der Entwurf einer konsolidierten Fassung der Änderungsvorschläge [4] vorgelegt. In der Videoaufzeichnung der Abschlusssitzung am 26. April 2024 [6], in der das Protokoll abgestimmt wurde, kann ab Minute 3:55 verfolgt werden, dass noch Punkte offen waren. Zu dem Zeitpunkt lag somit kein Wortlaut eines Änderungsvorschlags vor, der der 77. WHA zur Beratung hätte vorgeschlagen werden können.

Stand 19. Februar 2024 plante die WHO folgendes Vorgehen [7]: Vorgeschlagene Änderungen der Bestimmungen zur Lenkung und der grundlegenden Artikel der Verordnungen werden auf der achten Sitzung der WGIHR im April 2024 behandelt, um das Änderungspaket zur Prüfung durch die Siebenundsiebzigste Weltgesundheitsversammlung im Mai 2024 fertigzustellen (original: „Proposed amendments to provisions related to governance, and foundational articles of the Regulations, will be addressed when the WGIHR meets for the eighth time in April 2024 to finalize the package of amendments for consideration by the Seventy-seventh World Health Assembly in May 2024.“).

In der vorläufigen Tagesordnung der 77. WHA [8] ist der Punkt „Working Group on Amendments to the International Health Regulations (2005)“ vorgesehen. Die Nummer des Dokuments zu diesem Tagesordnungspunkt ist mit A77/9 angegeben, es ist jedoch kein Dokument verlinkt. Ob der 77. WHA noch Änderungsvorschläge der IGV zur Beratung vorgelegt werden, ist offen.

Die WHO plante jedoch offensichtlich und plant möglicherweise immer noch, Änderungen der IGV unter Verstoß gegen die in Artikel 55 Absatz 2 IGV bestimmten Fristen – und damit regelwidrig – zu beschließen. In einem offenen Brief [9] der Global Health Responsibility Agency sind die rechtlichen Hintergründe und die möglichen Folgen dieses Vorgehens detailliert dargestellt.

Vorausgehende Regelwidrigkeiten

Für die Überführung von Änderungen der IGV in nationales Recht sind in Artikel 59 IGV Fristen vorgesehen ([1], Seite 967). Nach Artikel 59 Absatz 1 kann jeder Vertragsstaat Änderungen der IGV innerhalb einer Frist von 18 Monaten nach dem Tag, an dem der Generaldirektor deren Annahme durch die WHA notifiziert hat, ablehnen oder mit Vorbehalten versehen. Nach Artikel 59 Absatz 2 treten Änderungen der IGV 24 Monate nach der Notifikation des Generaldirektors in den Vertragsstaaten in Kraft, die sie nicht abgelehnt oder mit Vorbehalten versehen haben.

Auf der 75. WHA im Jahr 2022 wurde ein Änderungsvorschlag der IGV eingebracht, der eine Verkürzung der Fristen von 18 auf 10 bzw. von 24 auf 12 Monate vorsah. Laut Sitzungsprotokoll vom 28. Mai 2022 [10] wurde der Entschließungsantrag in der geänderten Fassung durch Konsens angenommen (unter Item 16.2: „The draft resolution was approved … by consensus …“). Dies widerspricht dem in Artikel 60 der Verfassung der WHO [11] vorgeschriebenen Verfahren, wonach Beschlüsse über andere Fragen, … mit der Mehrheit der anwesenden und abstimmenden Mitglieder gefasst werden müssen („Decisions on other questions, … shall be made by a majority of the Members present and voting.“). Die Gültigkeit des Änderungsbeschlusses wurde von Abgeordneten des Europaparlaments [12] und des Parlaments von Südafrika [13] in Zweifel gezogen.

Die Bundesregierung beabsichtigt, die Verkürzung der Fristen per Verordnung vom 27. März 2024 am 31. Mai 2024 in Kraft zu setzen und hat den Bundesrat um Zustimmung gebeten [14]. Eine Abstimmung darüber ist auf der 1044. Sitzung des Bundesrats am 17.05.2024 geplant ([15], TOP 22).

Fazit

Die WHO plante, auf der 77. WHA Ende Mai 2024 Änderungen der IGV beschließen zu lassen, die den Generaldirektor der WHO ermächtigt hätten, in alleiniger Entscheidungsbefugnis die Menschenrechte weltweit einschneidend beschränken zu können. Die diesbezüglichen Änderungsvorschläge sind für die 77. WHA offenbar zurückgezogen.

Die Eile, mit der diese Änderungen der IGV umgesetzt werden sollten, die Fristverkürzungen für deren Inkrafttreten und das offensichtlich regelwidrige Vorgehen bei diesen Vorhaben lassen vermuten, dass das Interesse daran sehr groß ist. Weitere Angriffe der WHO auf die Menschenrechte sind daher zu befürchten.

Quellen

[1] https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/text.xav?SID=&tf=xaver.component.Text_0&tocf=&qmf=&hlf=xaver.component.Hitlist_0&bk=bgbl&start=%2F%2F*%5B%40node_id%3D%27998086%27%5D&skin=pdf&tlevel=-2&nohist=1&sinst=9D06D86D
[2] https://apps.who.int/gb/wgihr/pdf_files/wgihr1/WGIHR_Compilation-en.pdf
[3] https://ivfgesund.de/aktuelles/geplante-aenderungen-der-internationalen-gesundheitsvorschriften-der-who/
[4] https://apps.who.int/gb/wgihr/pdf_files/wgihr8/WGIHR8_Proposed_Bureau_text-en.pdf
[5] https://apps.who.int/gb/wgihr/index.html
[6] https://apps.who.int/gb/wgihr/e/e_wgihr-8.html
[7] https://www.who.int/news/item/19-02-2024-member-states-consider-proposed-amendments-to-the-international-health-regulations-with-discussions-on-equity-to-continue, letzter Absatz
[8] https://apps.who.int/gb/ebwha/pdf_files/WHA77/A77_1-en.pdf
[9] https://www.ghr.agency/wp-content/uploads/2024/03/OpenLetterWHO_Art.55_IHR6March24.pdf
[10] https://apps.who.int/gb/Journal/e/WHA75/JRN-A75-7_en.html
[11] https://apps.who.int/gb/bd/PDF/bd47/EN/constitution-en.pdf
[12] https://bvnl.nl/wp-content/uploads/2023/11/European_Parliamentarians_Letter_To_The_World_Health_Organization.pdf
[13] https://childrenshealthdefense.co.za/wp-content/uploads/WHO-Letter-of-Rejection_African-Christian-Democratic-Party-South-Africa.pdf
[14] https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2024/0101-0200/147-24.pdf?__blob=publicationFile&v=1
[15] https://www.bundesrat.de/SharedDocs/TO/1044/to-node.html;jsessionid=B71BBE76B4FF296386366A037219891F.live532?cms_topNr=22#top-22