Karl Lauterbach will die Homöopathie aus dem Leistungsspektrum der Krankenkassen ausnehmen, da ihre Wirkung nicht wissenschaftlich belegt ist. Die Argumentationskette ist zweischneidig: nur 20 % bis 40 % der etablierten Goldstandards der Schulmedizin sind wissenschaftlich eindeutig belegt. Die restlichen 60 % bis 80 % der schulmedizinischen Goldstandards basieren auf Erfahrungsmedizin. Sie werden aber aktuell trotzdem von den Krankenkassen bezahlt.
Klinische Studien, wie sie in der Schulmedizin geführt werden, eignen sich tatsächlich nicht, um die Wirksamkeit der klassischen Homöopathie zu überprüfen, denn das homöopathische Heilmittel wird individuell ausgesucht. Es kann also sein, dass fünf Patienten mit denselben Symptomen alle ein unterschiedliches Mittel erhalten – je nach Ausprägung der Krankheit und der körperlichen Konstitution der Patienten.
Es gibt jedoch Studien, die den Nutzen der Homöopathie nachweisen. Im Oktober 2023 erschien eine Übersichtsarbeit , für die man 6 Meta-Analysen zum Thema Homöopathie ausgewertet hat. Es zeigte sich größtenteils, dass eine homöopathische Behandlung einer Placebo-Behandlung überlegen war (https://systematicreviewsjournal.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13643-023-02313-2).
Einzig die klinische Homöopathie, in der Komplexmittel gegen ein Placebo oder gegen eine medizinische Intervention getestet werden, ist momentan ohne größeren Aufwand in klinischen Studien überprüfbar, da hier jeder Proband das gleiche Mittel für das ausgewählte Krankheitsbild bekommt – hier liegen auch für verschiedene Komplexmittel vielversprechende Studien vor, wenn auch mit geringer Teilnehmerzahl.
So wurde in einer klinischen Studie von 2021 die Wirkung des homöopathischen Komplexmittels Traumeel S u. a. bezüglich Schmerzen und Schwellung nach einer operativen Zahnentfernung untersucht. Verglichen wurde die Wirkung mit dem Stoff Dexamethason , der bei solchen Eingriffen üblicherweise zum Einsatz kommt. Es zeigte sich, dass Traumeel S und Dexamethason sich in ihrer Wirkung kaum unterscheiden und Traumeel S deshalb eine gute Alternative zu dem Wirkstoff darstellt. (Comparative Effectiveness of the Homeopathic Preparation Traumeel S in Third Molar Extraction Surgery: A Preliminary Triple-Blind Clinical Trial https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/abstract/10.1055/s-0041-1725038).
Für die klassische, individuelle Homöopathie wären andere Studiendesigns erforderlich, da hier die homöopathische Anamnese, die Mittelauswahl und Therapie, die Potenzierung und die Potenzanpassung im Verlauf berücksichtigt werden müsste. Diese Komplexität ist in der Tat in klinischen Studien schwer abbildbar – allerdings ist die Abbildung in Studien nicht unmöglich: es gibt entsprechende Studiendesigns, die aber aufwendig sind. Das Geld für solche Studien nimmt leider keiner in die Hand.
Eine Studie der Securvita verwendet einen anderen Ansatz, nämlich einzig und allein vorliegende gesundheitsökonomische Daten auszuwerten. Sie kommt zu dem Schluss, „dass die Behandlungsoption durch Ärzte mit qualifizierten Homöopathie-Kenntnissen für viele Versicherte hilfreich ist, positive Ergebnisse bringt und damit eine bessere Gesundheitsversorgung bewirkt.“ (https://www.securvita.de/fileadmin/inhalt/dokumente/auszuege_SECURVITAL/202004/securvital_0420_6-11.pdf)
Wenn wir Herrn Lauterbachs Gedanken nun weiter führen, dann dürften sehr viele andere Leistungen von den Kassen nicht mehr bezahlt werden, darunter alle Impfungen. Tatsächlich gibt es für keine einzige der von der StiKo empfohlenen Impfungen eine ausreichende Datenlage, die ihren Einsatz und somit ihre Bezahlung durch die Krankenkassen rechtfertigen – im Gegenteil: bei einem Großteil der Impfungen ist die Datenlage bezüglich Nebenwirkungen so bedenklich, dass sie eigentlich vom Markt genommen werden müssten. Insbesondere ist der Nutzen der jährlichen Grippe-Impfungen nicht wissenschaftlich belegt. In einem systematischen Cochrane-Review von 2018 kamen die Autoren zum Schluss, dass der Effekt der Impfstoffe „bescheiden“ sei. In weiteren Studien konnte keine signifikante Schutzwirkung festgestellt werden. (https://individuelle-impfentscheidung.de/impfungen/influenza.html, Abschnitt „Fachbeitrag / Influenza: die Impfung)
Auch der Nutzen der Cholesterin-Senker, von Hausärzten wie Smarties an die Patienten ausgeteilt und eine entsprechend große Belastung für die Krankenkassen, ist nicht klar belegt. Angesichts ihres Nebenwirkungsprofils und der Kontroversen bezüglich der Rolle von Cholesterin im Hormonstoffwechsel sollte ihr Einsatz sehr kritisch hinterfragt und nicht durch die Krankenkassen übernommen werden.
Durch Studien ist belegt, dass 6,5% der Fälle, die in der Notaufnahme landen, auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) zurückzuführen sind. Durch die Wechselwirkungen verschiedener Wirkstoffe steigt das Risiko für eine UAW mit der Anzahl der gleichzeitig eingenommenen Medikamente, dies betrifft natürlich besonders ältere Patienten ab 65. Eine genauere Nutzen- Risikoabwägung und dadurch eine Kürzung der Einnahmelisten – 10 verschiedene Medikamente sind hier keine Seltenheit – könnten das Risiko vermindern, Todesfälle verhindern und den Kassen viel Geld sparen (https://www.diagnosia.com/uaw-notaufnahme/).
Laut Schätzungen gesundheitsökonomischer Analysen liegen die durch unerwünschte Arzneimittelwirkungen verursachten Kosten in Deutschland jährlich zwischen 816 und 1233 Millionen Euro (Angaben aus 2015, https://www.akdae.de/arzneimittelsicherheit/medikationsfehler/20150701). Diese schweren Nebenwirkungen treten in der Homöopathie kaum auf.
Eine von Krankenkassen selbst in Auftrag gegebene Studie hat nicht nur gezeigt, dass Akupunktur eine sichere und wirksame Behandlung gegen Kopfschmerzen und Lumbalsyndrom darstellt – sie hat sogar nachgewiesen, dass sie zwar nur unwesentlich besser wirkt als ein Placebo, dafür aber deutlich besser als der schulmedizinische Goldstandard – welcher dennoch von den Krankenkassen bezahlt wird (https://www.aerzteblatt.de/archiv/40274/Akupunktur-Grossstudie-bestaetigt-Wirkung). Wenn wir wirklich das Leistungsspektrum der Krankenkassen verschlanken wollen, dann doch bitte so, dass es den Patienten zugute kommt!
Wenn man bedenkt, was die Kassen alles wegen fehlender oder unzureichender wissenschaftlicher Evidenz nicht bzw. nicht mehr zahlen werden, dann stellt sich die logische Überlegung, ob wir die Krankenkassenbeiträge endlich soweit reduzieren können, dass sich Geringverdiener und Rentner ihre Krankenversicherung wieder leisten können, ohne sich das Geld vom Mund ab sparen zu müssen.
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