Zusammenfassung
Für alle gesetzlich Versicherten Patienten soll ab Anfang 2025 eine elektronische Patientenakte (ePA) eingerichtet sein. Dabei sind viele Fragen zur Verwendung der persönlichen Gesundheitsdaten und der Datensicherheit noch offen.
Widerspruch einzulegen gegen das Anlegen der Elektronischen Patientenakte, stellt aktuell eine gute Möglichkeit für jeden einzelnen dar, den Krankenkassen und der Politik deutlich zu machen, dass viele Menschen mit der aktuellen Entwicklung der ePA nicht einverstanden sind.
Elektronische Patientenakte (ePA)
Für alle gesetzlich versicherten Patienten in Deutschland soll ab Anfang des Jahres 2025 die elektronische Patientenakte (ePA) eingerichtet werden. Wer die ePA nicht möchte, kann dem widersprechen (Opt-Out).
Für privat Versicherte können die Unternehmen der PKV ebenfalls eine widerspruchsbasierte ePA anbieten.
Von Beginn an werden in der ePA auch weitere wichtige Behandlungsinformationen, wie beispielsweise Arztbriefe, Befundberichte oder auch Entlassbriefe, verfügbar gemacht.
Patienten ohne eigenes Smartphone werden ihre ePA in ausgewählten Apotheken einsehen können. Außerdem werden die Ombudsstellen der Krankenkassen diejenigen Versicherten bei der Ausübung ihrer Rechte unterstützen, die ihre ePA nicht über eine ePA-App verwalten.
Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (Digital-Gesetz – DigiG):
Digital-Gesetz (DigiG) – BMG (bundesgesundheitsministerium.de)
Die persönlichen Gesundheitsdaten sollen von den Krankenkassen in Datenbanken gespeichert werden, die auf Servern externer Firmen (z.B. IBM) liegen. Auf diese Daten soll die neue Behörde Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ) beim BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) als zentrale Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für die Nutzung von Gesundheitsdaten Zugriff haben. Das FDZ prüft Anträge von Firmen/Forschungseinrichtungen bezüglich Zugriff auf pseudonymisierte Daten bestimmter Personengruppen. Es liegt im Ermessen des FDZ zu entscheiden, wem Zugriff gewährt wird. Nach welchen Kriterien ist nach unserer Kenntnis bislang nicht klar definiert. Der Einzelne hat darüber keine Entscheidungsgewalt, auch wenn ihm der Forschungszweck nicht gefällt.
Außerdem ist die Behörde weisungsgebunden an die Vorgaben der jeweiligen Regierung, diese Vorgaben können sich bei einem Regierungswechsel ändern.
Da die ePA überstürzt eingeführt werden soll und dadurch für eine sorgfältige Diskussion zur Datensicherheit und Entwicklung von Sicherheitskonzepten nicht ausreichend Zeit ist, befürchten Datenschützer eine große Gefahr von Datenmissbrauch.
In den letzten Jahren sind immer wieder Fälle von Entwendung von Versichertendaten (Datenklau) durch Hackerangriffen bekannt geworden, wie z.B. 2019, als Millionen von Gesundheitsdaten im Internet einsehbar waren.
Es besteht die große Gefahr, dass Hacker diese erbeuteten Gesundheitsdaten an Arbeitgeber/Versicherungen verkaufen und dadurch den Personen berufliche und monetäre Nachteile entstehen.
Sind die Gesundheitsdaten einmal in der ePA gespeichert, besteht die Gefahr, dass sie später nicht mehr gelöscht werden können/dürfen, z.B. durch nachträgliche Gesetzesänderungen.
Bei der nächsten Pandemie oder Krise könnte die Regierung per Gesetzesänderung Pharmafirmen, Forschungsinstituten oder Regierungsbehörden unbegrenzten Zugriff auf die persönlichen Gesundheitsdaten aller Versicherten geben. Dem Missbrauch dieser Daten zum persönlichen Nachteil der Versicherten wäre dann Tür und Tor geöffnet.
Europäischer Raum für Gesundheitsdaten (EHDS), WHO
Am 13.12.2023 hat das Europaparlament eine Verordnung zur Ausarbeitung vorgelegt, dass die personenbezogenen Gesundheitsdaten europaweit verfügbar sein und anders als in Deutschland auch ohne Zustimmung des Patienten gespeichert werden sollen. Dabei soll keine Widerspruchsmöglichkeit bestehen.
Die Online-Datensicherheit ist hierbei noch nicht ausgearbeitet. Bezüglich der Datensicherheit gibt es insbesondere im Hinblick auf die sich häufenden Hacker-Angriffe auf Kliniken und Krankenkassen große Bedenken.
Auch ist nicht klar, was mit den Daten passiert wenn nachträglich eine Gesetzesänderung durchgeführt wird. Dieses Gesetz würde bedeuten, dass für alle Regierungen in der ganzen EU die persönlichen Gesundheitsdaten zugänglich sind. Der Einzelne wird keine Möglichkeit haben bestimmte „unliebsame“ Regierungen von der Benutzung seiner Daten auszuschließen.
https://health.ec.europa.eu/ehealth-digital-health-and-care/european-health-data-space_de
Es ist noch nicht klar in welcher Form auch die WHO in Zukunft Zugriff auf diese persönlichen Gesundheitsdaten haben soll.
Siehe WHO „Internationale Gesundheits Vorschriften“
https://apps.who.int/gb/wgihr/pdf_files/wgihr1/WGIHR_Submissions_Original_Languages.pdf
Die Kosten der ePA
Die Kosten für die Einrichtung der ePA tragen die Krankenkassen, diese liegen geschätzt in etwa bei 789 Millionen Euro. Auch das erste Befüllen soll durch die Kassen erfolgen, hierfür rechnet der Gesetzgeber mit zusätzlichen 400 Millionen Euro, dies soll jedoch vergütet werden, um die Kosten für die Kassen zu reduzieren. Des weiteren rechnet das Bundesgesundheitsministerium mit weiteren 887 Millionen, die für die aktuelle Befüllung jährlich entstehen. Hierfür sind die Ärzte zuständig. Der Betrag errechnet sich aus 300 Millionen veranschlagten Behandlungsfällen. Der Umbau der aktuellen ePA, die seit 1. Januar 2021 jeder gesetzlich Versicherte durch Beantragung erhalten kann (Opt-in), zu einer Opt-out Anwendung, mit der Versicherte dem Anlegen einer ePA widersprechen können, soll die Krankenkassen weitere 114 Millionen Euro kosten. Für das Opt-out Verfahren sind jährlich etwa 5 Millionen Euro vorgesehen.
Bewertungen
Wer zahlt die Kosten der ePA?
Einen Großteil dieser Kosten werden wohl die Kassen nicht alleine tragen und der Beitrag der Versicherten zur Krankenversicherung wird aller Wahrscheinlichkeit nach weiter steigen.
Auch die Frage, der personellen Umsetzbarkeit muss gestellt werden, wie sieht es damit aus? Wo kommt das Personal hierfür her, gibt es Neueinstellungen? Wohl eher schwierig beim bestehenden Fachkräftemangel. Es ist anzunehmen, dass hier weiteres Personal, das in der medizinischen Versorgung bei der Arbeit am Menschen bereits jetzt fehlt, für weitere Verwaltungsarbeit gebunden wird. Können wir uns das aus ethischer Sicht, bei dem bestehenden Fachkräftemangel in der Klinik, beim Arzt und in der Pflege, wirklich noch leisten?
Dieser Milliardenbetrag könnte sicherlich besser im Gesundheitssystem eingesetzt werden, sieht man sich nur die vorhergesagten Zahlen, der bevorstehenden Klinikschließungen, für das Jahr 2024 an, oder die Pflege in den Heimen, die am Limit läuft. Man könnte kleinere kommunale Kliniken, da hier die Finanzierung besonders schwer ist, unterstützen, oder Anreize für junge Ärzte schaffen, sich wieder als Hausarzt nieder zu lassen, indem man ihnen beim Erwerb des Kassensitzes unter die Arme greift. In der Pflege für bessere Arbeitsbedingungen und bessere Bezahlung sorgen, diese dadurch attraktiver machen und aufwerten, damit sich mehr junge Leute für diesen Beruf entscheiden. Kindern bereits ab dem Kindergarten mehr Gesundheitsbildung als Prävention anbieten und ermöglichen, unsere Senioren in den Heimen präventiv mitVitaminen und gesundem Essen versorgen.
Bei all den offensichtlichen Nachteilen – warum sollte man sich mit dem Konzept dennoch differenziert auseinander setzen?
Der oft zitierte Hauptvorteil der ePA ist die sofortige Verfügbarkeit von medizinischen Daten bei Notfällen. Dieses Argument muss aber differenziert betrachtet werden. Wir sprechen hier von zwei unterschiedlichen Datensätzen; der eine kurz und knapp, der andere ausführlich und umfangreich.
Welche Daten sind im Notfall wirklich relevant und müssen sofort verfügbar sein?
- Blutgruppe,
- relevante Vorerkrankungen,
- letztes Blutbild,
- ggf. relevante Arztberichte (z.B. bei Krebserkrankungen),….
also Daten, die ein Notarzt in der Notaufnahme wissen muss. Insbesondere sind diese Daten bei Notfällen im Ausland wichtig – aber in welcher Sprache? Hat ein Notarzt in der französischen Provinz etwas davon, sich per Google-Translate durch die letzten 40 Jahre an Arztbesuchen und Krankenhausaufenthalten sowie die Berichte der Psychotherapie-Sitzungen zu wühlen? Nein – da sind nur die Notfalldaten wichtig, und zwar geballt und ohne langes Suchen. Dabei wäre es auch sinnvoll, diese in einer Standard-Sprache, z.B. Englisch, vorliegen zu haben.
Welche Daten sind überflüssig oder vielleicht sogar behindernd im Notfall und nur für z.B. Hausarzt oder Spezialbehandlungen interessant?
- Alte Daten/Labor/Medikation von vor 5 Jahren und älter,
- gesammelte Röntgen-, MRT- und CT-Aufnahmen,
- Inhalte der Psychotherapie, etc.,
also Daten, die beim Hausarztwechsel oder für Spezialisten bei jahrelang bestehenden chronischen Erkrankungen zur Verlaufsbeurteilung wichtig sind.
Beim Recht des Patienten auf Einholung einer Zweitmeinung wäre es dabei sinnvoll, dass der Arzt die Diagnose des ersten Arztes nicht sieht. Diese Option ist mit der ePA nicht gegeben.
Wie könnte man die Vorteile haben ohne die Nachteile in Kauf nehmen zu müssen?
Die Vorteile eines im Notfall rasch verfügbaren Datensatzes mit den wichtigsten Gesundheitsdaten sind unbestritten, lassen sich jedoch auch dezentral umsetzen. So könnte man z.B. die Gesundheitskarte im Geldbeutel tragen, auf der diese Daten gespeichert sind. Damit wären die Daten zumindest vor großangelegten Hackerangriffen und unbefugtem Zugriff geschützt, aber trotzdem im Notfall verfügbar.
Einen eigenen und vor allem sicheren Zugang zu den eigenen Daten zu haben ist ohne jeden Zweifel sehr wünschenswert. Wir sollten eine neue Routine entwickeln, mit der Patienten ihre eigenen Daten in Kopie in einem Gesundheitsordner zuhause und zusätzlich auf einem passwortgeschützten USB Stick, der von den Krankenkassen bereitgestellt und von den Ärzten fortlaufend aktualisiert wird, sammeln, damit diese Daten bei einem Arztwechsel komplikationslos verfügbar sind. Ja, das beinhaltet Eigenverantwortung – aber mal ganz ehrlich: das sollte man einem Erwachsenen zumuten können.
Natürlich gibt es auch bei diesen Lösungen Nachteile. Die Frage ist immer, welche Größenordnung die Nachteile haben. Wenn Sie andere Ideen haben, dann stellen Sie diese bitte zur Diskussion. Eine Diskussion von verschiedenen möglichen Lösungen samt Vor- und Nachteilen auf gesellschaftlicher Ebene ist dringend erforderlich.
Kommentar
Warum hat also die Elektronische Patientenakte für die Politik so hohe Priorität, dass man nicht einmal abwartet, bis ein wasserdichtes Konzept die Datensicherheit gewährleisten kann? Hier kommen wir bei der „heiligen Kuh“ der Digitalisierung der Medizin an. Diese wird in Deutschland so gut wie gar nicht kritisch hinterfragt – was aber dringend notwendig ist.
Die zunehmende Digitalisierung in der Medizin hat bislang viele Nachteile für die Patienten gebracht. Nicht nur, dass Ärzte und Pflegekräfte immer mehr Zeit auf die digitale Dokumentation zu Abrechnungszwecken verwenden müssen, die dann natürlich für die Arbeit am Patienten fehlt. Nein, dazu kommt noch die Einführung der Telemedizin, die einerseits einen schnelleren Zugang zu ärztlicher Beratung gewährleisten soll, andererseits aber die Qualität der medizinischen Versorgung massiv reduziert. Früher hieß es „Keine Diagnose ohne körperliche Untersuchung“, jetzt machen wir das via Bildschirm? Eine körperliche Untersuchung ist via Telemedizin nicht möglich.
Auch das persönliche ärztliche Gespräch ist durch Telemedizin nicht zu ersetzen – schon allein, weil eine digitale Überwachung sowohl durch Regierungsbehörden (auch fremder Regierungen, z.B. NSA) oder Hacker möglich ist.
Darüber hinaus gibt es Bestrebungen von mehreren Universitäten, ein Computerprogramm zu entwickeln, bei dem Patienten im Wartezimmer (oder zuhause) per Multiple Choice Auswahl ihre Beschwerden beschreiben müssen, um dann durch eine KI entscheiden zu lassen, ob dieser Patient überhaupt einen Arzt sehen darf oder nicht. Und genau dafür ist eine ePA unabdingbar.
Wem der Gedanke, z.B. bei einer Krebsdiagnose, einem Computer seine Symptome zu schildern und von ihm dann elektronisch ein Rezept ausgestellt zu bekommen, was man gegen diese Symptome nehmen soll, gefällt, der darf sich gerne zurücklehnen. Jeder, der den eigenen Hausarzt als Menschen, dem man seine Gesundheit anvertraut betrachtet und dieses Vertrauensverhältnis schätzt, sollte hier jedoch wachsam sein und sich überlegen, wann es Zeit wird, diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, bessere Lösungen zu erarbeiten und diese von der Politik einzufordern.
Was können wir tun?
Widerspruch einzulegen gegen das Anlegen der Elektronischen Patientenakte stellt aktuell eine gute Möglichkeit für jeden einzelnen dar, den Krankenkassen und der Politik deutlich zu machen, dass viele Menschen mit der aktuellen Entwicklung der ePA nicht einverstanden sind.
Je mehr Druck die Versicherten nach oben aufbauen, desto mehr Sand streuen wir ins Getriebe und desto wahrscheinlicher wird eine offene Diskussion in Politik und Medien über die Vor- und Nachteile. Langfristig müssen wir eine Lösung über die Politik anstreben.
Das langfristige Ziel muß sein, eine bessere Lösung als die derzeitige ePA zu erreichen; dazu ist es sinnvoll, die jeweiligen Abgeordneten
- über die Bedenken zu informieren,
- zum Thema Datenschutz und Sicherheit der persönlichen Gesundheitsdaten genau nachzufragen,
- mögliche bessere Lösungen wie den persönlichen Gesundheits-Chip in der Gesundheitskarte mit allen Notfalldaten ansprechen,
- einfordern einer neuen Routine, den Patienten Kopien ihrer Befunde zur persönlichen Verwahrung auszuhändigen.
Auch in die Medien sollten diese Themen z.B. per Leserbrief eingebracht werden und eine öffentliche Diskussion mit den Beteiligten, die diese ePA umsetzen sollen (Ärzte, Mitarbeiter der Krankenkassen, …) angeregt werden.
Der Widerspruch muß voraussichtlich auf Grund des sog. Opt-out-Verfahrens ab 2024 erneuert werden bzw. man sollte im Jahr 2024 mit seiner Krankenkasse diesbezüglich in Kontakt bleiben.
Widerspruchsschreiben zum Anlegen der ePA: https://ivfgesund.de/wp-content/uploads/2024/03/IVfG-Widerspruch-Schreiben-ePA_V01B03_20240307.docx
Wir als IVfG empfehlen allen eigenverantwortlichen Patienten, sich von ihren Ärzten ihre Befunde in Kopie aushändigen zu lassen und bereits jetzt mit dem Anlegen eines persönlichen Gesundheitsordners in Papierform und/oder digital zu beginnen.
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